Heute ist wieder ein eher wenig guter Tag. Ich denke viel nach und bin traurig. Seit Monaten bin ich zu Hause und manchmal fällt mir die Decke auf den Kopf.. Aber ich muss mich viel ausruhen und an das Wohl unseres gesunden Zwergs in meinem Bauch denken.
Ich bin in der 34. Woche mit Zwillingen schwanger. Das klang immer so schön, wenn man erzählen konnte, dass man Zwillinge erwartet und alles gut ist und man sich toll fühlt. Ich hatte keine typischen Schwangerschaftsbeschwerden. Nicht mal die viel prognostizierte Übelkeit, die bei einer Zwillingsschwangerschaft doch so viel schlimmer sein soll.
Anfang Juli im vergangenen Jahr erfuhren wir bei einer Routineuntersuchung beim Frauenarzt, dass ich schwanger bin. Es war allerdings noch sehr früh und so sollten wir zwei Wochen später noch einmal kommen, um sicher zu gehen. Beim nächsten Besuch sah ich auf einmal zwei Fruchthöhlen und meine Frauenärztin fragte mich, ob ich gut zählen kann... So erfuhren wir, dass wir Zwillinge bekommen werden.
Wir haben uns einfach nur gefreut. Ich habe mich wie Superwoman gefühlt und fest daran geglaubt, dass wir das alles hinbekommen. Negative Stories und Blogs über das Leben mit Zwillingen habe ich nicht gelesen, sondern mich auf mein Urvertrauen verlassen, dass wir das als Eltern toll machen werden und dass es ein Geschenk ist. Auch die nächsten Untersuchungen waren super und ich fühlte mich einfach nur toll. Ich ging ganz normal weiter arbeiten und ab dem 5. Monat sah man auch endlich einen schönen Babybauch.
Dann gab es diese eine Routineuntersuchung bei unserer Frauenärztin. Sie hielt sich beim Ultraschall relativ lang an einem Zwilling auf und bat uns danach noch zum Gespräch. Auf einmal sagte sie Dinge wie „Mir ist etwas im Ultraschall aufgefallen, was ich gerne von der Feindiagnostik abklären lassen würde. Etwas scheint mit den Beinen und den Nieren nicht zu stimmen.“
Der mächste freie Termin bei einem Feindiagnostiker war zwei Wochen später. Zwei Wochen lief ich wie ferngesteuert herum - trotzdem blieben wir positiv und haben immer gesagt, dass die Medizin heute so weit ist und wir das alles gut hinbekommen werden.
Der Termin beim Feindiagnostiker war das schlimmste, was ich bis dahin in meinem Leben ertragen habe. Der Arzt zählte fast eine Stunde lang die verschiedensten Fehlbildungen an unserem kleinen Zwerg auf. Unser Kind sei schwerstbehindert. Ich weinte schon bei der Untersuchung auf der Liege und konnte mich kaum noch beruhigen.
Der Arzt empfahl uns, dass wir uns eine zweite Meinung einholen sollen, da dieses Thema weitreichende Entscheidungen von uns abverlangt. Es gab aber auch eine gute Nachricht an diesem schrecklichen Tag: Der zweite Zwilling war vollkommen gesund.
Wir vereinbarten einen zweiten Termin bei einem anderen Pränatalmediziner mit sehr guten Ruf und jahrelanger Erfahrung. Es hieß wieder warten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich irgendwie emotional von meinen Babys in meinem Bauch entfernt. Diese Diagnose hat mich so überrumpelt, dass ich nicht wusste, wie ich damit umgehen soll.
Ich konnte es nicht fassen, dass meine bisher so unkomplizierte Schwangerschaft sich so radikal verändert hatte. Zum einen waren da die unglaublichen Sorgen, zum anderen sitzt man nur noch bei Ärzten und fühlt sich wie ein Versuchskaninchen.
Der Besuch beim zweiten Spezialisten ergab leider die gleichen Ergebnisse wie die erste Untersuchung. Und dann kam zum ersten Mal dieses Wort auf: selektiver Fetozid.
Unser Arzt sprach das Thema einmal an, um uns auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Danach sollten wir ihn aktiv ansprechen, sollten wir diese Möglichkeit in Betracht ziehen. Die Vorstellung, ein Baby zu verlieren, war für uns die Hölle. Nur noch ein Baby statt zwei? Wir bekommen doch Zwillinge. Das war mittlerweile fest in unseren Köpfen verankert.
Uns wurde empfohlen eine Humangenetikerin mit einzubeziehen, um herauszufinden, ob ein genetischer Defekt vorliegt. Wir stimmten zu. Mir wurde Fruchtwasser entnommen. Es kam nichts bei den Untersuchungen heraus. Es lag kein genetischer Defekt vor. Nicht, dass ich mir das gewünscht hätte, aber so war es noch schwieriger zu verstehen, warum unser kleiner Zwerg so krank war. Wochenlang waren wir bei Ärzten und Beratern. Vor jedem Arztbesuch hoffte ich insgeheim, dass jemand sagt, dass alles nur ein Irrtum gewesen ist. Dass alle Fehlbildungen weg sind und sich alles zum Guten wendet. Aber niemand sagte uns so etwas.
Wir fuhren über Weihnachten zu unseren Familien und versuchten etwas Abstand zu gewinnen. Danach haben wir beide noch einmal über alles gesprochen und eine Entscheidung getroffen.
Wir haben uns für den selektiven Fetozid entschieden. Ich kann mich an dieses Wort immer noch nicht gewöhnen. Es klingt so medizinisch. Wir teilten unserem Arzt unsere Entscheidung mit. Er besprach unseren Fall vor einer Ethikkommission , die aus mehreren anderen Ärzten besteht. Sie stimmten dem Eingriff zu.
Der Eingriff kann erst ab der 32. Woche vorgenommen werden, da Risiken für eine Frühgeburt des anderen Kindes zu hoch ist. Die Gesundheit des zweiten Zwillings stand immer im Folus. Das Warten bis zum Eingriff war unerträglich. Nebenbei schwingt immer die Angst mit, dass mit dem gesunden Kind auch noch irgendwas passieren könnte.
Vor zwei Wochen war es dann soweit. Wir fuhren zusammen in die Klinik, der Eingriff sollte am nächsten Morgen stattfinden. Mein Freund durfte im Krankenhaus schlafen, so fühlte ich mich nicht ganz alleine.
Unser Arzt, der uns nun bereits seit einigen Wochen betreut hatte, führte den Eingriff selber durch. Er begrüßte mich, nahm meine Hand und fragte, mich wie es mir geht und ob ich es immer noch will. Er hatte ein ganz liebes mitfühlendes Gesicht und nahm mir die Angst. Auch für ihn war dies kein leichter Tag. Das habe ich ihm angesehen. Der Eingriff selber dauerte nicht lang. Weder mein Baby noch ich verspürten irgendwelche Schmerzen. Dann hörte sein Herz auf zu schlagen.
Vielleicht klingt das komisch, aber ich konnte nicht weinen.
Wir hatten uns solange auf diesen Tag vorbereitet und uns auch stets psychologisch betreuen lassen. In den letzten Wochen hatten auch wir angefangen, uns auf unser gesundes Kind zu konzentrieren. Wir wollten uns darüber freuen, dass wir bei all dem Leid, das uns widerfährt, am Ende ein gesundes Baby in den Armen halten werden.
Aber es ist unglaublich schwer, Babysachen zu kaufen, das Kinderzimmer einzurichten und sich wieder positiv auf seine Schwangerschaft einzustellen, wenn man so eine emotionale Last erfährt.
Ich weiß, dass uns das Schlimmste noch bevorsteht. Die Geburt wird ein Wechselbad zwischen Trauer und Freude. Ein Kind wird bei uns bleiben, eins nicht. Wir wollen auch das, das schon von uns gegangen ist, nach der Geburt sehen und uns von ihm verabschieden.
Niemand bereitet einen auf so ein Schicksal vor. Ich hätte nie gedacht, einmal so eine Entscheidung treffen zu müssen. Es zerreißt mir das Herz.
Unser kleiner Zwerg wird für immer in unseren Herzen bleiben. Und ich werde ihn immer sehen, wenn ich unseren anderen Zwerg anschauen werde.
Ich wünsche mir, dass dieses Thema öffentlich diskutiert werden kann und andere betroffene Eltern eine Plattform finden um darüber zu reden. Man hat das Gefühl, dass das Thema noch sehr hinter verschlossenen Türen abläuft und man sich als Eltern irgendwie schlecht fühlen muss, wenn man diese Entscheidung getroffen hat. Ich hoffe, dass mein Beitrag dazu beiträgt das Thema weiter in die Öffentlichkeit zu rücken.
Tags: Zwillinge, Bauch, schwanger, Abbruch, Arzt0Gastbeiträge