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Wir wollen doch nur zusammensein: Welche Hürden wir als deutsch-afrikanische Familie nehmen mussten

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Wir sind eigentlich eine ganz normale Familie, Mama, Papa und ein sehr lebendiger Sohn von 16 Monaten. Wir wohnen mittlerweile in einer ruhigen Kleinstadt in Süddeutschland, im Grünen in einer schönen Wohnung mit netten Nachbarn und in der Nähe der Großeltern. Ich bin Deutsche, mein Mann ist Afrikaner.

Wir hatten einen sehr langen und steinigen Weg, bis wir so zusammen leben konnten! Ich habe ein paar Anläufe gebraucht, diesen Text zu schreiben, weil die Vorgeschichte, unsere 3-jährige Fernbeziehung über zwei Kontinente und fast 5000 km, so anstrengend, nervenaufreibend, aber natürlich auch voller Geschichten und Erlebnisse war. Aber eigentlich möchte ich mehr darüber schreiben, wie es ist, seit unser Sohn in unser Leben gekommen ist.

Die Zeit unserer Fernbeziehung kann ich so zusammenfassen: Wir haben uns bei meinem zweiten Urlaub auf den Kapverdischen Inseln vor Westafrika kennengelernt. Schon beim ersten Urlaub habe ich als Alleinreisende sehr schnell viele Menschen kennengelernt, Kapverdianer, Europäer, die dort irgendwie mit dem Tourismus zu tun haben (das ist ein Thema für sich) und auch Immigranten aus Westafrika - wie meinen Mann. Da die Kapverden ein „aufsteigendes Reiseziel“ sind, leben die Hotels von billigen Arbeitskräften vom Kontinent, die dort in den Baracas leben, Slums.

Mein Mann hatte in gewisser Weise eine Ausnahmestellung dort, er war schon vor dem Ausbau des Tourismus dort, hat als Zimmermann ein Restaurant und eine Surfschule gebaut, sich dann das Schwimmen und Surfen beigebracht und letztendlich als Surflehrer gearbeitet. In den Baracas hatte er sein eigenes Haus, das er mit Freunden und einem kleinen Laden geteilt hat. Ich war oft dort und habe auch einige Nächste dort verbracht. Das alles dort war für mich am Anfang sehr schockierend, aber natürlich leben die Menschen und großen Familien dort auch ihr Leben. Trotzdem denke ich oft, dass es unser Kind doch viel besser hat…

Wir wussten sehr schnell, dass wir zusammen sein wollen, für uns war das mehr als ein Ferienflirt. Wir haben also alles versucht. Zuerst ein Schengenvisum, das abgelehnt wurde. Dann wollten wir aufs Volle gehen und das Heiratsvisum anpeilen. Auch das hat über drei Jahre nicht geklappt - aufgrund von Fehlinformationen vom Standesamt und meiner Anwältin. Immerhin war ich in dieser Zeit acht Mal in Afrika, auf Boa Vista, Praia und in Dakar, wo mein Mann einen Deutschkurs am Goetheinstitut machen musste. Auch das alles wäre ein Thema für sich.

Jetzt also endlich das glückliche Ende!

Wir wollten, als es ernst wurde, ziemlich schnell und gerne ein Kind zusammen. In Afrika ist das gar kein Thema! Wir waren aber sehr in der Fernbeziehung gefangen, und da ich schon auf meine 40 zuging (mein Mann ist übrigens nur zwei Jahre jünger;-) und schon in früheren Beziehungen ohne Distanz trotz „Nichtverhindern“ nicht schwanger wurde, hatte ich ziemliche Sorgen, ob das überhaupt klappt. Die seltenen Besuche ließen sich ja außerdem kaum auf „fruchtbare Tage“ berechnen.

Doch genau nachdem ich einen neuen Job angefangen hatte und in eine neue Stadt gezogen war und nach der Probezeit, nach sechs Monaten endlich wieder auf der Insel war, bin ich völlig überraschend schwanger geworden! Ich wusste es irgendwie ziemlich schnell, als mir im heißen Sommer 2015 noch heißer war. Dann habe ich die „Familienzusammenführung“ auch schnell in die Wege gebracht. Trotzdem war mein Mann durch die Bürokratie (völlig legalen) Migranten gegenüber erst sechs Wochen vor der Geburt in Deutschland. Aber immerhin! Das Beschaffen der Papiere war noch ein Marathon bis zur Ausreise! Das Personal am Flughafen wollte meinen Mann nicht ins Flugzeug lassen, erst fünf Minuten vor Abflug war er an Bord! Ich habe das alles aus Deutschland im siebten Monat irgendwie mit 50 Telefonaten organisiert.

Mal davon abgesehen, wurde ich nach Verkündung meiner Schwangerschaft im Job von meinen Chefinnen aufs Übelste gemobbt. Mein netter Frauenarzt hat mir deshalb sogar ein Bechäftgungsverbot erteilt.

Meine Schwangerschaft war also nicht gerade einfach, Mobbing bei der Arbeit und ein permanenter Kampf mit der Botschaft und den deutschen Ämter, ganz alleine, damit mein Mann bei uns sein konnte. Es war wirklich sehr aufreibend! Körperlich ging es mir zum Glück gut, ich habe weiterhin im Rahmen einer Schwangerschaft  viel Bewegung und Yoga gemacht. Pränataldiagnostik habe ich ausgeschlossen, da wir uns einig darin waren. Der Organultaschall war völlig in Ordnung.Es war wegen einer Beckenendlage dann klar, dass es ein Kaiserschnitt wird (da noch ein Risiko auf mich zu nehmen, war mir echt zu viel).

Sechs Wochen nach der Ankunft meines Mannes in Deutschland (bereits mit Job und Sprachkurs), wurde dann unser liebes Kind in der 37. Woche nach Blasensprung geboren! Das war ein unglaublich schöner und irgendwie surrealer Moment. 

An die Tage im Krankenhaus kann ich mich zum Teil sehr genau erinnern, aber die ersten zwei Tage sind irgendwie verschwunden. Ich weiß noch, dass der Kleine nachts nur bei mir schlafen wollte und ich ihn eigentlich unerlaubt die ganze Nacht im Arm hatte. Auch sonst haben wir sehr viel gekuschelt und das war wunderschön! Aber es war auch anstrengend.

Der Kleine war die ersten Monate ziemlich fordernd, vielleicht, weil ich so viel Stress in der Schwangerschaft hatte… Ich war in den ersten Wochen sehr am Ende, weil ich alle drei Stunden den Kleinen Aufwecken, Stillen (Versuchen), abgepumpte Milch füttern, ins Bett bringen, Abpumpen, Desinfizieren… (späte Frühchen-Mamas kennen das). Geschlafen hab ich kaum und mein Mann war entschuldigt permanent unterwegs beim Sprachkurs und bei der Arbeit bis Mitternacht.

Zur Ruhe gekommen bin ich aber auch danach lange nicht. Das Kind war abends kaum zu beruhigen, ich bin früh mit ihm ins Bett, habe ihn eigentlich die ganze Nacht gestillt. Dazu hatte ich extreme Zukunftsängste. Ich wollte auf keinen Fall in meinen alten Job zurück und in die Nähe meiner Eltern ziehen, also Wohnung suchen und irgendwann Arbeit. Ich dachte, dass das alles fast unmöglich ist aus dieser Situation.

Aber es wurde immer besser, wir haben in Dänemark geheiratet, als unser Baby vier Monate alt war, das Schreien am Abend wurde besser, ich habe meine Mann ab vier Uhr fürs Baby eingespannt und wir haben schnell eine Wohnung gefunden (weil ich dem Vermieter so sympathisch war:)). Nach dem Umzug habe ich mir große Sorgen gemacht, eine Arbeit zu finden aus der Elternzeit und mit nur einem Jahr beim alten Arbeitgeber.

Um Weihnachten war ich völlig am Ende und habe realisiert, dass ich in einer großen postnatalen Depression war. Mit meinem Mann war das eine schwere Zeit, weil er das nicht verstehen konnte und ich ihm das auch nicht erklären konnte, wo es uns doch so gut ging. Aber es ging vorüber. Schon nach zwei Bewerbungen habe ich im Januar den besten Job meines Lebens gefunden, die Zusage kam ganz schnell! Von da an ging es mir 100% besser (ausgerechnet an meinem ersten Arbeitstag hatte ich den vorher lang ersehnten Termin bei einer Psychiaterin). Die Kinderbetreuung ließ sich prima organisieren dank der lieben Großeltern, mein Mann musste leider erstmal seine Sprachkurse aussetzen und war in seinem Job sehr flexibel.

Tja, hätte ich das alles vorher gewusst… dann hätte ich die Schwangerschaft und Elternzeit genießen können. Aber so ist das Leben, und mit der Verantwortung kommt eben Sorge und Stress. Umso mehr genieße ich jetzt jeden Tag! Meine Arbeit macht Spaß, mein Mann kommt voran und dem Kleinen geht es prima, er ist ein sehr fröhliches, lustiges Kind voller verrückter Ideen.

Ich bin natürlich die Hauptverdienerin. Ich habe studiert und einen zwar nicht superbezahlten Job, aber er macht mir unglaublich Spaß und das Umfeld ist im Gegensatz zu meiner letzten Arbeit sehr offen für berufstätige Mütter. Mein Mann macht Sprachkurse, arbeitet für Mindestlohn, ist unglaublich fleißig und fängt bald eine Ausbildung an. Natürlich muss ich alles organisieren, Ausländeramt, Sprachkurse, Arbeit, Ausbildung, Kinderbetreuung, Alltägliches. Das ist aufreibend, aber irgendwie ok. Ich stille das Männlein noch, aber die Nachtschichten macht mein Mann und ich kann vor dem vollgepackten Tag schlafen! Mein Mann ist sehr gechillt, und die beiden schlafen super zusammen.

Was ich aus all dem lerne?

Das Männlein ist unglaublich! So fröhlich, liebevoll und aufmerksam. Ich liebe es, einfach mit ihm zusammen zu sein und ihm zu folgen, bei dem was er so mit seinen 16 Monaten im Kopf hat. Motorisch ist er sowieso sehr fit, was mich bei dem Leistungssport-Papa und mir nicht wundert. Er hat tausend Ideen im Kopf, isst alles mit Begeisterung (ich denke, da wird der Papa irgendwann streng sein, weil er wirklich nie verwöhnt wurde), und spricht mit allen (auch wenn wir nicht immer alles verstehen). Er ist ein sehr intensives Kind, und das wundert mich nach alledem nicht… Und er spricht ständig, Sprache ist sehr wichtig für ihn.. Immerhin wächst er mit vielen Sprachen auf und muss sich da zurechtfinden. Deutsch, Criolu, Englisch, Fula, Schwäbisch, Badisch...

Was in unsere Familienkonstellation besonders ist? Der Kampf, erstmal eine Familie zu sein. Es gibt keine Selbstverständlichkeiten. Und Differenzen muss man manchmal einfach akzeptieren, von beiden Seiten.

Und natürlich fragen sich alle Eltern, was kommt von mir, was von Dir? Das ist beim Männlein schwer zu sagen, da ich meinen Mann nur so kenne, wie er ist. Es gibt keine Kinderfotos oder Geschichten von den Eltern.

Er ist in einem der ärmsten Länder der Welt aufgewachsen. Rückhalt gab es nicht. Seine Eltern haben nie eine Schule gesehen und ihn so schnell wie möglich von der Schule genommen, damit er auf den Feldern arbeiten konnte. Er wollte sehr gern weiter auf die Schule und leidet immer noch darunter. Mit 16 hat er seine Familie verlassen, um sein eigenes Leben zu suchen und das war mit Sicherheit sehr schwer. Aber er hat so viel Kraft, dass er das alles gemeistert hat. Wir können noch viel darüber reden und ich freue mich darauf, das alles mit dem Kleinen zu tun.

Bei einem afrodeutschen Kind sehen alle immer das Afrikanische, die Afrikaner sehen es aus Stolz, wir Europäer, weil das Kind eben afrikanisch aussieht. Jeder sagt mir immer, dass er ja ganz der Papa ist und ich habe mich immer sehr ausgeschlossen gefühlt, weil er doch immerhin in meinem Bauch war…

Irgendwann wurde mir klar, dass auch vieles von mir kommen kann, vielleicht ja auch seine fröhliche, lustige Art und seine Power. Ich bin anders aufgewachsen als mein Mann, sicher viel gehemmter und komplizierter in den späten 70ern. Vieles tue ich, was mir für unser Kind so selbstverständlich erscheint, weil ich momentan bis auf die ersten kleinen Trotzkämpfe einfach tue, was das Männlein braucht. Und mein Mann ist ja nochmal völlig anders aufgewachsen, auf dem Land in den 70ern in Afrika. Diese Perspektive tut mir sehr gut und ich entdecke mich sehr wieder im kleinen Mann.

Vielleicht bringen wir einfach alles Gute zusammen? Ich bin so gespannt, wie alles weitergeht! Es ist jeden Tag viel zu tun und zu organisieren und so viel Spaß mit dem Männlein. Ich habe ein bisschen Bammel vor dem Erziehen, aber das bekommen wir sicher auch hin…

Ich würde mich sehr über Kontakt freuen zu Eltern, die in einer ähnlichen Situation sind!

-----IN EIGENER SACHE: Wir sind für den Scoyo Eltern Blog Award nominiert. HIER könnt Ihr uns  bis zum 25.9 Eure Stimme schenken, wir würden uns sehr darüber freuen!

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