Liebe Meike, wir wollen heute über Deine 7- jährige Tochter sprechen. Sie lebt bei deinem Ex Mann - während Du in den USA lebst. Wie kam das?
Ich habe mich von meinem Exfreund im April 2012 getrennt, da war unsere gemeinsame Tochter gerade 6 Monate alt. Sie hat seit dem immer bei mir gelebt – bis Juni 2017. Ihren Vater hat sie nach anfänglichen Schwierigkeiten seinerseits (er war recht unzuverlässig) regelmässig alle 2 Wochen am Wochenende gesehen und einmal unter der Woche. Leider hatte ich vor der Geburt schon dem gemeinsamen Sorgerecht zugestimmt (da wir nicht verheiratet waren, musste ich das ja extra per Erklaerung beim Jugendamt machen).
Dann hast Du einen neuen Mann kennengelernt, der beruflich in die USA musste....
Ja, mein Ex hat recht schnell gesagt, er würde einem Umzug unserer Tochter nicht zustimmen. Mit der Begründung, dass er es auf Dauer nicht schaffen würde, den Kontakt zu unserer Tochter aufrecht zu erhalten. Es gab Streit und mein amerikanischer Mann und ich haben uns bemüht, die Situation zu klären. Aber da gab es kein Vor und Zurück, auf keiner Seite.
Ihr musstet diese Frage, ob Deine Tochter in die USA umziehen darf, schließlich vor Gericht klären lassen - wie ging das aus?
Da wir für mich und dann auch für meine Tochter ein Visum für die USA beantragen mussten und das von den amerikanischen Behörden nicht bearbeitet werden würde ohne klare Zustimmung des Kindsvaters, haben wir uns schliesslich beim Anwalt beraten lassen und nach einem Versuch, die Sache aussergerichtlich zu klären (der Vater meiner Tochter haette lediglich zustimmen müssen, dass ich das Aufenthaltsbestimmungsrecht erhalte), mussten wir im Herbst 2016 das Familiengericht bemühen.
Ich hatte bis dahin noch nie mit Anwälten zu tun gehabt und war schlichtweg schockiert über den Tonfall, mit dem zwischen den Anwälten schriftlich kommuniziert wurde. Ich hatte nach der Entbindung meiner Tochter und nach der Trennung von ihrem Vater mit Depressionen zu kämpfen, weswegen ich mich auch in Behandlung begeben hatte, das wurde unter anderem hochgezerrt, um zu beweisen, was für eine ungeeignete Mutter ich sei. Ich war Ende 2016 mit unserem Sohn schwanger, das war eine sehr, sehr harte Zeit für uns als Familie. Auch Versuche unsererseits, die Versetzung meines Mannes in die USA in eine Versetzung in ein anderes europäisches Land umzuwandeln, waren erfolglos und als Resultat hatte mein Mann monatelang mit beruflichen Repressalien zu kämpfen. Das alles machte die Situation nicht unbedingt leichter.
Wie hast Du die Zeit vor Gericht erlebt?
Die Gerichtstermine an sich waren fuer mich die reine Hölle. Ich bin eher ein emotionaler Mensch und kann Tränen nur sehr schwer zurückhalten. Das waren schlimme Momente für mich, die ich so schnell nicht vergessen werde. Die Entbindung meines Sohnes verlief dann auch unschön und endete in einem Kaiserschnitt, dessen Narbe sich anschliessend infizierte, also musste ich mit Neugeborenem wieder ins Krankenhaus. Zwischen Gerichtsverhandlungen hatte ich also intravenöse Antibiotikagabe und sehr schmerzhafte Spülungen der Wunde... Im Nachhinein denke ich, dass die Wunde sich wegen der ganzen Situation um uns herum infiziert hat, weil meine Abwehr eh schon angeschlagen war.
Wie ging es Deiner Tochter während dieser Zeit?
Für sie war die Situation ganz schlimm. Sie hat beide Elternteile lieb und hat sich auch in die Ecke gedrängt gefühlt, weil sie quasi auf einmal sagen sollte, wen sie lieber hatte. Wir, also mein Mann und ich, haben versucht, der Fairness halber, schonend und kindgerecht und vor allem neutral mit ihr darueber zu reden. Das ist für uns nach hinten losgegangen, da auf der Seite ihres Vaters knallhart „Gehirnwaesche“ betrieben wurde. Bei einer Unterhaltung mit meiner Tochter sagte sie mir z. B., wenn ich ohne sie umziehen wuerde, könnten wir ja per Videochat Kontakt halten. Aber wenn sie mit uns umziehen würde, würde sie ihren Papa ja NIE wieder sehen und das wollte sie nicht. So wurde ihr das von ihrem Vater erklärt. Das macht mich heute noch so wütend, dass mir die Traenen kommen!!!
Meine Tochter wurde von einer Anwältin befragt, die in der Verhandlung nur die Interessen des Kindes vertreten sollte. Die Anwältin fragte meine Tochter unter vier Augen, wo sie lieber leben wolle – in Bayern (wo sie ja alles kannte, weil sie ihr ganzes Leben dort verbracht hatte) oder in den USA (was ihr mit damals 5 Jahren ja rein gar nichts sagte). Natürlich sagte meine Tochter da, dass sie in Bayern bleiben wolle. Kann ich ihr ja nicht verübeln. Dort sind ihre Grosseltern, ihre Kindergartenfreunde, etc. Andererseits hätte die Familie meines Mannes sie mit offenen Armen empfangen (haben sie eh schon, meine Schwiegermama erzählt immer ganz stolz, dass ihr erstes Enkelkind schon so gross ist und Deutsch spricht).
Du standest nun vor der Entscheidung: deine Tochter in Deutschland bei ihrem Vater zu lassen oder deinem Mann zu sagen, er soll ohne Dich und Euren damals neugeborenen Sohn in die USA umziehen - kannst Du uns erzählen, wie es einem mit so einer Entscheidung geht?
Die Familienrichterin sagte bei einem Termin, sie würde für den Vater meiner Tochter entscheiden und ob ich nicht einlenken wolle, damit würden wir uns den Gerichtsbeschluss ersparen. Ich war zuerst 100%ig dagegen. Ich konnte mir ein Leben ohne mein Mädchen nicht vorstellen. Aber das hätte bedeutet, in die nächste Instanz zu gehen und meine Anwältin erklaerte mir, dass da zwischen den Parteien noch mehr „mit Dreck geworfen“ werden würde. Das hätte ich nicht ertragen können, das hätte mich komplett zerstört. Ich war immer noch dabei, mich von der Sectio zu erholen und die Gerichtsverhandlung zu verdauen und wir mussten mit dem Visumsantrag beginnen, dazu hatten wir ein neugeborenes Baby zuhause... Die Entscheidung fiel dann, als meine Schwiegermutter, die zur Geburt ihres Enkelkindes bei uns in Deutschland zu Besuch war und die ganze Situation natürlich hautnah mitbekam, sagte: „You know, at least your girl is being loved. Her whole family loves her.“ Und das entspricht ja der Wahrheit. Wenn ihr Vater sie nicht lieben würde, hätte er ja nicht so gekämpft.
Ich habe also schlussendlich eingelenkt. Die schwerste Entscheidung meines Lebens. Ich mache mir immer noch Vorwürfe deswegen und habe auch Angst, dass meine Tochter mir in ein paar Jahren deshalb Vorwürfe macht. Sie hat mich tasächlich damals gefragt, ob ich ihr böse bin... Ich sagte ihr nur, dass ich ihr doch nicht böse sein könne, weil sie ihre Eltern liebt, weil sie ihren Papa auch liebt. Vor kurzem hat sie mich wieder gefragt, ob ich sauer auf sie bin, weil sie in Deutschland geblieben ist. Meine Antwort bleibt die gleiche, wie könnte ich?
Wer hat Dich in dieser Zeit emotional unterstützt?
Ich hatte damals regelmäßige Gespräche mit einer Sozialarbeiterin von der Caritas und ich habe mich natürlich an Freundinnen gewandt. Mein Mann war ebenfalls von Schuldgefühlen zerfressen Ich erinnere mich an einen Freitagnachmittag, an dem ich ihn weinend am Boden sitzend im Badezimmer fand. Er sagte, er sei Schuld, dass unsere Familie zerissen wurde.
Wie waren die Reaktionen Deines Umfeldes auf diese Entscheidung?
Bei manchen Unverständnis, bei anderen Mitgefuehl. Eine Freundschaft ist daran kaputtgegangen, weil die Freundin sich gegen mich stellte und sehr biestig war zu einer Zeit, in der ich das Gefühl hatte, Freunde sollten doch eher unterstützend sein. Meine Mutter ist wahnsinnig unterstützend im Rahmen ihrer Möglichkeiten und sogar ihre Freundinnnen. Meine grössere Familie spricht nicht darüber, sie wissen alle Bescheid, aber niemand sagt irgendetwas bis auf eine Tante. Das gibt mir das Gefühl, dass sie mich alle schweigend verurteilen. Das ist auf gewisse Art erdrückend.
Eine Bekannte sagte, sie haette auf den Mann verzichtet und wäre beim Kind geblieben. Aber damit wäre unsere Ehe wahrscheinlich auch vorbei gewesen. Es ist für andere natürlich immer leichter, aus der Entfernung zu urteilen und zu behaupten, es sei doch ganz einfach. Ist es aber bei näherer Betrachtung selten...
Wie waren die ersten Wochen ohne Deine Tochter in den USA?
Sehr schwer. Der Flug war schlimm für mich, ich bin mit unserem Sohn allein geflogen und habe immer wieder mit den Tränen gekaempft, weil ich dauernd das traurige Gesicht meiner Tochter beim Abschied vor mir sah/immer noch vor mir sehe.
Hier in Georgia habe ich mich dann sofort in Aktivitäten gestuerzt, weil ich das Gefühl hatte, wenn ich stillstehe, zerbreche ich. Also habe ich sofort begonnen, den Führerschein zu machen (hatte ich in Deutschland nie), habe in der Abendschule den amerikanischen Schulabschluss gemacht und nach 2 Monaten begonnen, zu arbeiten. Aber jedes Mal, wenn ich mich ein wenig über etwas gefreut habe, hat sich gleich dieses Schuldgefuehl eingeschlichen – wie kann ich es wagen, mich ohne meine Tochter über etwas zu freuen?
Wie haltet Ihr Kontakt?
Wir machen jeden Sonntag zu einer festen Zeit Videochat, dazu schicken wir uns Sprachnachrichten per Whatsapp, das ist immer sehr schön. Durch die Zeitverschiebung wache ich manchmal zu spontan aufgenommenen ausgedachten Liedern meiner Tochter auf, ich schicke ihr manchmal Videos ihres kleinen Bruders und wenn sie bei meiner Mutter zu Besuch ist, telefonieren wir auch immer (meine Mutter wohnt bei ihr um die Ecke).
Im Februar 2018 war sie mit meiner Mutter bei uns zu Besuch, das war wahnsinnig schön. Da sie noch nicht in der Schule war, konnten sie einen Monat bei uns verbringen. So hat sie jetzt zumindest ein bisschen eine Vorstellung davon, was „die USA/Amerika“ bedeutet. Im September war ich mit ihrem Bruder in Deutschland, weil sie eingeschult wurde. Das war ihr sehr wichtig und ich bin sehr froh, dass ich da war. Ich bin so wahnsinnig stolz auf mein grosses Mädchen!!! Nächsten Sommer kommt sie uns mit meiner Schwester und deren Mann zusammen besuchen (so muss sie nicht allein fliegen). Darauf freue ich mich jetzt schon. Womöglich müssen sie uns dann aber in Asien besuchen kommen, da wir bis dahin wohl wieder umziehen.
Du hast Dir jetzt professionelle Hilf geholt. Warum war Dir das wichtig?
Ich brauchte jemanden ausserhalb der Familie, mit dem ich darüber reden konnte. Mein Mann kann zigmal sagen, er weiss, dass es eine sehr schwere Situation für mich ist und dass ich mich nicht so schuldig fühlen soll, aber wir drehen uns da immer irgendwann im Kreis. Mein Mann soll auch nicht die Rolle eines Therapeuten einnehmen. Ich möchte nicht, dass die Abwesenheit meiner Tochter bzw mein Schuldgefühl quasi ueber unsere Beziehung bestimmt.
Es vergeht kein Tag, an dem ich sie nicht vermisse, aber seit meinem letzten Besuch in Deutschland weiss ich, dass es meiner Tochter gut geht. Bei ihrer Einschulung hatte ich das Gefühl, dass sie dort ist, wo sie gerade sein soll, auch wenn das ein Eingeständnis ist, dass für mich schmerzhaft ist. Es geht ihr gut ohne ihre Mama. Das bringt mich immer noch zum Weinen.
Aber ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass sie nach wie vor das fröhliche, quirlige und etwas verrückte Maedchen ist, das sie von kleinauf war und das ich so liebhabe. Da habe ich ein bisschen meinen Frieden mit ihrem Vater gemacht, er ist für sie da und es geht ihr bei ihm gut.
Ich habe aber nach wie vor nicht die Hoffnung aufgegeben, dass sie in einigen Jahren vielleicht bei uns leben möchte und sie weiss, dass sie das nur zu sagen braucht, wir würden dann sofort ihr Visum beantragen. Wir betrachten uns nach wie vor als eine vierköpfige Familie.
Mütter, deren Kinder nicht bei ihnen leben, werden oft hart angegangen. Dass Väter nicht bei ihren Kinder sind, scheint normaler zu sein. Wie findest du das?
Das ist die gute alte Doppelmoral. Die Rabenmutter, die nicht bei ihrem Kind lebt bzw sich nicht um ihr Kind kümmert (egal, ob sie es nicht kann oder nicht will), ist ein Konzept, dass fest in vielen Köpfen verankert zu sein scheint. Den Begriff „Rabenvater“ hingegen gibt es gar nicht. Aber mit dem Trend der Familiengerichte, eher für die Väter zu entscheiden, ist das alles ja im Wandel. In meinem Fall hasse ich diesen Trend von ganzem Herzen, aber insgesamt bin ich ja auch für die Stärkung der Väterrechte. Das ist ja einer der Gründe, warum diese ganze Entscheidung so schwer war – denn auch mein Mann ist ein Vater. Hätte ich seine Vaterrechte untermauern sollen, ihm seinen Sohn vorenthalten sollen/können? Oder hätte ich ohne Mann und Baby bei meiner Tochter in Deutschland bleiben sollen/können?
Im Englischen gibt es eine Redewendung, die da sehr passend ist: Caught between a rock and a hard place. Genau so habe ich mich gefühlt. Es gab keine „gute“ Entscheidung.
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