Liebe Jana, Du hast in deinem Buch „Jede Geburt ist einzigartig“ 50 Geburtsgeschichten aufgeschrieben. Verrätst du uns eine Geschichte, die dich besonders berührt hat?
Oh! Das ist eine echt schwere Frage. Jede einzelne Geschichte hat ja ihre Besonderheiten. Ich musste beim Lesen mehr als einmal vor Rührung weinen, obwohl ich doch selbst schon oft genug dabei war.
Da ist Clara, die ihr Kind während eines scheppernden Gewitters, wie bei Ronja Räubertochter, bekam. Sie erzählt in ihrer Geschichte, wie sie plötzlich nur noch von heißen Wellen umgeben war und ihr Kind in einem Orgasmus ähnlichen Zustand herausatmete. Oder Sarah, die einen unerwarteten und unerwünschten Kaiserschnitt bekam, ihn aber als so gut und selbstbestimmt erlebt hat, dass sie absolut ihren Frieden damit machen konnte und ihre Geburt als wunderschön und den ersten Moment mit ihrem Sohn als magisch beschreibt.
Einige Frauen aus dem Buch habe ich ja während der Schwangerschaft und betreut und diese Geschichten gehen mir natürlich besonders nahe. Da es mich so beeindruckt hat, wie selbstlos mir all diese Geschichten geschenkt wurden, erzähle ich auch die Geschichten meiner Geburten in diesem Buch*. Die sind für mich natürlich auch sehr speziell.
Du hast viele viele Geburten erlebt - was fasziniert und überrascht dich jedes Mal?
Diese schnellen Emotionswechsel: Es ist immer wieder verrückt den Unterschied von Wehe und Wehenpause zu sehen. In einer Minute ist eine Frau im absoluten Ausnahmezustand und in der nächsten lächelt sie und nimmt ein Gespräch wieder auf, was durch die Wehe unterbrochen wurde. Josephine hat das in ihren Bildern auch wunderbar eingefangen.
Was war die lustigste Situation, die Du je unter einer Geburt erlebt hast?
Oh, da gibt es ein paar: Einmal begann bei einer Frau der Pressdrang, als ihr Partner aufsprang, sich das T-Shirt vom Leib riss, ein anderes aus der Tasche nahm und sich überzog. Dann stellte er sich frontal vor seine Frau und feuerte sie an wie ein Cheerleader. Das T-Shirt hatte er sich für diesen Moment drucken lassen. Darauf stand: „Go Baby Go!“
Es gibt aber auch Situationen, die erst im Nachhinein komisch sind: Bei einer Frau ging es einmal so schnell, dass sie es nicht mehr schaffte sich auszuziehen. Ihr Baby wurde in die Strumpfhose geboren und hing einen Moment im Hosenbein, bevor wir es befreiten.
Neulich betreute ich eine Frau, die sehr darauf achtete, sich auf die positiven Aspekte zu konzentrieren und nicht auf den Wehenschmerz. Nach einer Wehe strahlte sie mich an und sagte: „Toll, jetzt hab ich Urlaub“. Das hatte ich auch noch nicht gehört.
Hat sich eigentlich die Atmosphäre der Geburten in den letzten Jahren verändert?
Dass die PartnerInnen dabei sind ist heute Normalität geworden. Es ist eher die Ausnahme, wenn mal einer nicht dabei ist. Die Kreißsäle sind auf jeden Fall schöner geworden. Es ist weniger Schema F, man schaut eher, was jede einzelne Frau individuell möchte und braucht. In den letzten 20 Jahren hat sich schon einiges zum Besseren verändert. Aber natürlich gibt es immer Luft nach oben.
Aber nicht alles hat sich verbessert. Den Personalmangel in Kombination mit dem derzeitigen Geburtenboom, merkt man leider häufig sehr. Da würde ich mir oft etwas mehr Ruhe und Zeit wünschen.
Wohl jede Frau kommt während der Geburt an den Punkt, an dem sie denkt: Ich kann nicht mehr. Wie kannst du als Hebamme dann helfen? Was sagst du dann?
Ich sage, dass das bedeutet, dass sie den größten Teil der Geburt nun schon geschafft hat, dass das ein ganz gutes Zeichen ist, dass es nun bald in den Endspurt geht, und dass man viel mehr Kraft hat, als man selber glaubt. Dann lobe ich sie, wie gut sie das bisher gemacht hat und versuche herauszufinden, ob wir noch irgendwas verändern können, was ihr hilft den Rest zu schaffen. Manchmal ist ein Positionswechsel gut, manchmal hilft eine Massage oder ein bisschen Energie in Form von Tee mit Traubenzucker.
Wichtig ist aber auch immer eine gute Anamnese im Vorfeld. Bei einer Frau, die zum Beispiel sexuelle Gewalt erlebt hat, reichen gute Worte manchmal nicht und sie braucht dann vielleicht doch ein Schmerzmittel, um nicht re-traumatisiert zu werden.
Hilfreich ist es, in der Übergangsphase bei der Frau zu bleiben, um Veränderungen in ihrem Erleben schnell mitzubekommen und darauf unmittelbar eingehen zu können. Leider ist das im Klinikbetrieb nicht immer möglich.
Wir wissen, dass viele Frauen mit dem Ausgang hadern, weil es zb, doch zum Kaiserschnitt kam und sie es nicht „natürlich geschafft haben.“ Was möchtest du diesen Frauen sagen?
Du bist eine Mutter! Du hast deinem Kind das Leben geschenkt, wie jede andere Mutter auch. Ich verstehe die Trauer um das verlorene Geburtserlebnis. Aber letztendlich spielt der Geburtsweg irgendwann keine Rolle mehr. Geburt ist kein Wettbewerb. Wichtig ist deine Versöhnung mit diesem Teil deiner Lebensgeschichte. Du hast das gut gemacht. Sei stolz auf dich!
Im Buch gibt es ein Foto von einer Frau, ein paar Tage nach dem Kaiserschnitt. Ihr Bauch ist natürlich noch ganz groß, sie hat einen gigantischen „Schlüppie“ an, den sie etwas runter zieht, um ihre Narbe zu zeigen. Und sie steht dabei so selbstbewusst und provokant da, dass sie irgendwie auch total sexy und stolz aussieht. Ich wünsche allen Frauen nach Kaiserschnitt sich so gut zu fühlen, wie die Frau auf dem Bild das vormacht.
Viele Schwangere sind heute total unsicher, wo sie ihr Kind bekommen sollen. Es heißt, Im Krankenhaus sei alles total unpersönlich, eine Geburt im Geburtshaus könne aber im Notfall gefährlich sein - kannst Du da einen Tipp geben, die die Frauen ihren passenden Ort finden?
Es ist wichtig sich am gewählten Geburtsort gut, geborgen und sicher zu fühlen. Für manche ist dieser Ort das heimische Schlafzimmer und für andere ist es die Hightech-Umgebung eines Level 1 Krankenhauses. Ich würde immer dazu raten sich mit allen Möglichkeiten zu beschäftigen und dann nach dem Bauchgefühl zu gehen.
Ich denke, dass man sich die verschiedenen Szenarien viel besser vorstellen kann, wenn man einige der Geschichten liest. Das ist das Feedback, was ich so oft bekomme.
Heute kann man ja so viele Kurse rund ums Thema Geburt belegen. Findest du das gut oder plädierst du für mehr Natürlichkeit und einfach-geschehen-lassen?
Ich bin ein großer Fan der Geburtsvorbereitung. Wissen – gutes, fundiertes Wissen nimmt Ängste. Es macht Spaß sich mit anderen Menschen auszutauschen, die sich in derselben Situation befinden wie man selbst. Und es ist sehr sinnvoll sich eine gute Strategie im Umgang mit dem Tag X zu überlegen und sich mental gut aufzustellen.
Auch für den Geburtsbegleiter ist wichtig, sich seiner Rolle und Aufgaben unter der Geburt klar zu werden, um effektiv helfen zu können.
Und wenn man dann gut vorbereitet ist und alles Nötige weiß, dann ist es gut, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen und sich dem Geschehen hinzugeben. So wie Bianca das in ihrer Geschichte im Buch sagt: „Ich bin offen für jede Wendung, die die Geburt auch nehmen wird“.
Gesundheitsminister Jens Spahn möchte lieber ein duales Studium statt einer Ausbildung für Hebammen. Was ist Deine Meinung dazu?
Die Akademisierung unseres Berufes ist total überfällig. In allen anderen europäischen Ländern ist das längst umgesetzt. Nur wir hinken hinterher. Ich weiß nicht wovor alle Angst haben. Der hohe Praxisanteil der Ausbildung bleibt erhalten und der Theorieanteil wird eben erhöht und ergänzt. Ich bin ja gerade dabei das Studium als Quereinsteigerin zu absolvieren und kann sagen: Wir arbeiten längst auf Hochschulniveau. Nur das wissenschaftliche Arbeiten fehlte uns bisher. Ich freue mich über die interessanten Forschungsergebnisse, die in den letzten Jahren aus der Hebammenwissenschaft hervorgegangen sind. Hebammen haben einen anderen Blick auf die Dinge als Ärzte und stellen eben andere Forschungsfragen. Von diesem anderen Ansatz werden die Frauen letztendlich profitieren, da bin ich mir sicher.
Außerdem ist es noch oft genug so, dass wir als die Tee trinkenden, plaudernden, Globuli streuenden, Räucherstäbchen schwingenden Quasi-Freundinnen der Frauen gesehen werden, die für das emotionale pampern zuständig sind. Wohingegen man mit „echten Problemen“ zum Gynäkologen geht. Und ich freue mich, wenn dieses Bild endlich korrigiert wird. Wir sind die Fachfrauen für die physiologische Schwangerschaft, Geburt und die Wochenbettbetreuung.
Was Herrn Spahn betrifft, so ist er nun zufällig der Umsetzer dieser europäischen Richtlinie (2013/55/EU), die bis zum 18.1.2020 verwirklicht werden soll, wenn Deutschland verhindern will, Strafen zahlen zu müssen. Seine Erfindung ist die Akademisierung sicherlich nicht. Darüber reden wir seit gut 20 Jahren.
Generell ist es ein großes Problem, dass viele Schwangeren keine Hebamme mehr finden. Welche Auswirkung hat das auf die Frauen?
Wir arbeiten ja zu 90 % präventiv. Also wir setzen früh an und verhindern dadurch oft das Entstehen von gesundheitlichen Problemen. Mit unserer Beratung leisten wir einen erheblichen Beitrag zur Frauen- und damit Familiengesundheit. Wenn das nun wegfällt… Nunja, dann bleibt den Frauen nur noch der Besuch beim Arzt. Schon jetzt tauchen „Frauen ohne Hebamme“ immer öfter in den Notaufnahmen der Kliniken auf. Dann sind die Probleme aber oft schon riesengroß und akut behandlungsbedürftig.
Wenn Du sofort etwas an der Hebammen-Situation ändern könntest, was wäre das?
In der Politik wird oft gesagt, wir hätten zu wenig Hebammen und man muss einfach mehr ausbilden. Ich glaube aber nicht an diese Lösung. Der Knackpunkt sind die Arbeitsbedingungen und der Verdienst. Ich denke, dass man ziemlich schnell viele der Probleme in den Griff bekäme, wenn man Hebammen so bezahlen würde, wie es der Verantwortung und Komplexität des Berufes gerecht würde. Darüber hinaus wären flexiblere Arbeitszeitmodelle hilfreich. Die Tätigkeit in der Klinik ist extrem familienunfreundlich, ungesund, wahnsinnig anstrengend und schlecht vergütet. Gerade die jüngeren Kolleginnen lassen sich das nicht mehr bieten. Sie kommen sehr motiviert in den Beruf, sind aber auf Dauer einfach nicht gewillt so zu arbeiten.
Und in der außerklinischen Hebammenarbeit sind es nach wie vor die hohen Versicherungsbeiträge, die abschrecken.
Wenn man diese beiden Probleme mal wirklich nachhaltig angehen würde, dann kehren sicherlich auch Kolleginnen in den Beruf zurück, die inzwischen ihren Lebensunterhalt in anderen Jobs leichter und flexibler verdienen.
Nochmal zurück zu Deinem Buch: Welches Gefühl soll es der Leserin beim Durchblättern und Anschauen geben?
Hach, dieses Buch ist ein langgehegtes Herzensprojekt von mir. Ich finde es schade, dass Geburt in unserer Gesellschaft oft so eindimensional gezeigt wird. In Filmen wird sie immer lächerlich dramatisch gemacht und es werden ordentlich Ängste geschürt. Viele Portale beschäftigen sich nur mit einem Aspekt von Geburt, oder sind sehr dogmatisch.
Ich wollte gerne das ganze Spektrum zeigen.
Daher hoffe ich, dass man beim Lesen ein Gefühl für die unglaubliche Vielfalt bekommt. Jede Geburt ist einzigartig und komplett anders. Es gibt nicht die gute Geburt, sondern viele Varianten. Wie man Geburt sieht, verändert auch wie sie erlebt wird.
Mein Wunsch ist ein mehrdimensionales Bild von Geburt zu zeigen: Geburten sind nicht nur schrecklich und nicht nur wunderschön, sondern auch witzig, anstrengend, aufwühlend, langwierig, schnell, schmerzhaft oder auch schmerzfrei. Geburt kann so vieles sein.
Ich hoffe, dass das Lesen Lust darauf macht, sich selbst in das Abenteuer Geburt zu stürzen.
Und wenn Ihr "Jede Geburt ist einzigartig" gewinnen möchtet, schreibt uns einfach hier in die Kommentare, was Ihr durch die Geburten Eurer Kinder gelernt habt. Das Los entscheidet dann! VIEL GLÜCK!
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Tags: Hebamme, Spahn, Geburt, Klinik, schwanger, Ausbildung, Buch0Interviews