Ziemlich genau vier Monate ist es her. Vor ziemlich genau vier Monaten habe ich diesen auffälligen Knoten in meiner Brust gespürt, von dem ihm nur erahnen konnte, wie sehr er mein Leben auf den Kopf stellen würde.
Schon zwei Tage nach dem Ertasten hatte ich die bittere Diagnose: Brustkrebs mit 32. Und zwei Kindern. Meine Jungs sind sechs und zwei Jahre. Es sind besondere Jungs, denn es sind die besten Kinder der Welt. Ich weiß, dass das jede Mutter von ihren Kindern behauptet, aber meine sind es tatsächlich. Denn meine Jungs müssen seit vier Monaten mit einer krebskranken Mutter leben. Gemeinsam sind wir durch die emotionale Hölle gegangen. Constantin, der Kleine, hat es vielleicht noch nicht im vollen Umfang mitbekommen, aber Maximilian ist voll im Bilde, wenngleich er auch keine Details kennt.
„Du mein Engel, die Mama ist krank.“ „Hast du Schnupfen? Hat Charlotte nämlich auch!“ „Nee, keinen Schnupfen. Meine Brust ist krank. Da wächst etwas, was da nicht hin gehört.“ „Blumen?“ „Nein mein Schatz, eine Art Knoten.“ „So aus Wolle?“ „Nee, härter als Wolle. Weißt du, wie bei Katrin damals. Da ist doch auch was gewachsen.“ Katrin ist seine Erzieherin, die auch an Krebs erkrankt ist, sich aber wieder bester Gesundheit erfreut. „Ach wie bei Katrin. Ja ich weiß. Manchmal war sie deswegen zuhause.“ „Genau. Katrin war zuhause weil sie müde und erschöpft war. Ein bisschen wie wenn man Schnupfen hat. Und so ist das jetzt bei mir auch. Ich bekomme jetzt auch Medikamente, die mich sehr müde machen. Dafür machen die mich aber auch wieder gesund.“ Er sagt nichts. Guckt nur. Dann „Bist du traurig deswegen?“ Meine Augen füllen sich mit Tränen „Ja, mein Schatz. Sehr traurig und auch wütend und um ehrlich zu sein stinkesauer“ „Ich auch!“ „Das ist gut. Dann sind wir beide sauer auf diese blöde Krankheit“ „Kann ich mit Felix spielen?“ „Natürlich!“. Es vergeht seitdem kein Tag an dem Max nicht nach meiner Brust fragt.
Es gab Tage, da habe ich gedacht, dieses Gefühl frisst mich auf. „Was tust du Deinen Kindern da an? Womit haben Sie das verdient?“, habe ich mich nächtelang gequält. Kinder haben doch ein Recht auf eine unbeschwerte Kindheit. Stattdessen müssen sie mit einer glatzköpfigen, oft sehr müden Mutter leben.
Heute, vier Monate nach der Diagnose, noch mitten in der Chemotherapie, aber mit dem Wissen wieder ganz gesund zu werden, sehe ich die ganze Thematik etwas anders.
Wenn man nämlich aufhört, sich selbst zu bemitleiden, die „warum-ich“ – Frage zu Seite schiebt und die Situation nüchtern betrachtet, sieht es nämlich so aus: Ja, ich bin erst 32 und ja ich habe Brustkrebs. Einen hochaggressiven dazu. Dazu bin ich – wie ich jetzt erfahren habe – Trägerin des berühmten Angeline-Jolie Gens (in Fachkreisen auch BRCA1 bzw. BRCA2) und werde daher in naher Zukunft weder echte Brüste noch Eierstöcke haben.
Aber: Ja, mit großer Wahrscheinlichkeit darf ich wieder gesund und vielleicht sogar alt werden. Und damit war für mich klar, dass ich versuchen werde, diese Zeit als etwas zu nutzen, was sie vielleicht auch ist: eine Chance.
Es ist eine große Chance wahnsinnig viel über sich selber zu lernen. Zum Beispiel ob man über Selbstheilungskräfte verfügt. Tue ich. Check. Nicht zuletzt wegen meiner drei Jungs (der dritte ist mein Mann. Übrigens auch der beste von der Welt).
So weiß ich auch jetzt, dass eine Frau keine Haare braucht um einigermaßen attraktiv zu sein. Für die Kinder war der Haarverlust übrigens wesentlich einfacher als für mich. Max findet es sogar ziemlich cool.
Und ich weiß jetzt, wie schön und wertvoll es ist, morgens wach zu werden und einfach so aufstehen zu können. Ohne Übelkeit und Erbrechen. Ohne Kreislaufprobleme. Ohne Kopfschmerzen und ohne das Gefühl, dass dieser Körper garantiert nicht mir gehört. Die Tage ohne Nebenwirkungen sind geschenkte Tage. Wuuuuunderschön.
Und das wohl größte Geschenk, was mir Karl-Arsch (so habe ich den Tumor genannt) gemacht hat, ist die Gelassenheit. Ja sicher, irgendwann muss ich sterben. Aber das muss jeder. Keiner weiß wann das sein wird. Vielleicht muss ich irgendwann an Krebs sterben. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht werde ich auch vorher vom Auto überfahren. Aber mit großer Wahrscheinlichkeit ist es nicht Heute. Also können wir ja heute erstmal auf den Spielplatz gehen. Und die Sonne genießen. Und uns vor allem nicht über Tomatensoßenflecken oder zerbrochene Vasen aufregen.
Und so sehen wir als Familie, diese Herausforderung als Chance und nicht als Strafe. Denn auch wenn die Diagnose nur mich betrifft, so macht sie doch eine ganze Menge mehr Menschen betroffen.
Infos:
Nicole Staudinger, geb. am 15.6.82, Mutter zweier Söhne und selbständige Trainerin. Ein halbes Jahr vor der Diagnose hatte ich die Firma STEH DEINE FRAU– Das Schlagfertigkeitsseminar nur für Frauen gegründet und war gerade dabei die Deutschland-Tour zu planen, als die Diagnose kam: Triple – negatives – Mamma CA, 2,8 cm groß, G3.
Fotos: Sylvia Kroll