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Bertelsmann-Armutsreport: Wie uns Alleinerziehenden Armut droht. Unsere Odysee durch die Instanzen - Alleinerzieden unter Druck

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Ihr Lieben, dies ist ein Gastbeitrag von Charlotte, der wir von Herzen für diese eingängigen Ausführungen danken. Manchmal ist es unglaublich, was passieren kann.

Im Sommer 2011 trennten sich mein Exmann und ich. Es war keine Trennung in Freundschaft, viel war voraus gegangen. Die Kinder waren damals 3 und 5 Jahre alt.

Meine Mutter bekam zu dieser Zeit einen Anruf von meiner Schwiegermutter. Sie sagte, dass ich mich zwar trennen könne, aber ich keinen Cent Unterhalt für mich oder die Kinder sehen würde. Diese Drohung nahm ich nicht ernst. Schließlich gab es ja Gesetze – dachte ich.

Die erste böse Überraschung kam Anfang 2012. Mein Ex hatte sich informiert, forderte mit erfundenen Vorwürfen beim Familiengericht ein Wechselmodell und bekam es auch. Die Kinder, die vorher noch nie länger von zu Hause weg waren, mussten nun wochenweise pendeln zwischen unseren Haushalten. Kontakt in seiner Betreuungswoche zu mir als Mutter: keinen. Er ließ es nicht zu. Der Vorteil dieses Modells für ihn lag auf der Hand: er musste keinen Unterhalt zahlen. Und auch alle Rückstände, die bis dahin aufgelaufen waren, verfielen.

Den Kindern ging es nicht gut mit diesem Modell. Sie vermissten ihre Freunde, ihr zu Hause, ihren Kater und die Mama. Nach einem Jahr – als der Große massive Verhaltensauffälligkeiten zeigte und beide Kinder immer wieder vor Gericht aussagten, dass die kein Wechselmodell möchten – wurde es gekippt.

Damit kam sie wieder auf: die Frage nach dem Unterhalt. Mein Ex hatte seinen gut bezahlten Job in der Zwischenzeit gekündigt und lebte nun von Hartz 4. Zu Gerichtsdeutsch: „Der Vater stellt seine berufliche Karriere zugunsten der Kinder zurück.“

Ich hatte in meinen Unterlagen noch eine alte Gehaltsabrechnung gefunden, die ihm ein Gehalt von über 3000€ als PR Manager bescheinigte.

Meine Teilzeitstelle mit 28 Stunden reichte um uns erst einmal über Wasser zu halten. Trotzdem musste ich beim Amt Unterhaltsvorschuss anmelden – 133€ für die Kleine, 190€ für den Großen.

Während ich dort regelmäßig zur Überprüfung meiner Situation angehalten wurde – unter Androhung mir den Vorschuss zu sperren, wenn ich nicht ordentlich mitwirkte – passierte auf Seiten des Vaters nichts. Ich füllte also brav in regelmäßigem Turnus immer wieder Blätter aus, auf denen die Namen der Kinder, Geburtsort und –tag, Wohnadresse, Tag der Trennung und Scheidung anzugeben waren. Obwohl sich nichts änderte an den Daten.

Beim Amt wunderte man sich nicht, daß der Vater zwar Hartz 4-Empfänger war, aber regelmäßig mit den Kindern teure Allinclusive Cluburlaube im Ausland buchte – Ibiza, Mallorca, Türkei. Alles Fünf-Sterne-Resorts. Ich wurde stutzig, als ich eines Tages an seinem Briefkasten ein Firmenschild entdeckte. Im Netz wurde ich fündig. Er hatte einen Firmenwebsite und Referenzen zufriedener Kunden. Beim Amt stieß ich auf wenig Verständnis – solange ich keine Rechnungen dieser Kunden vorlegen könne, sei es sinnlos. Geklagt hatten sie bisher auch nicht gegen ihn. Das wunderte mich, denn immerhin war er ja freiwillig auf ALG2 und konnte eine tadellose Vita vorlegen mit der es nicht ersichtlich war, warum er keinen Job hätte finden können. Im Internet waren übrigens 580 offene Stellen für seinen Bereich zu finden zu dieser Zeit.

Schneller war hier das Jobcenter. Sie forderten mich auf, den Hartz-4-Anteil des Vaters zu tragen, wenn meine Kinder bei ihm seien. Später stellten sie den Kindern selber noch Rechnungen, als der Vater (wahrscheinlich durch falsche Angaben)  „eine Überzahlung“ verursachte. Ich war verwundert, denn für seinen quasi freiwilligen Hartz 4-Bezug konnten die beiden Minderjährigen doch nichts. Nach ein paar Briefen und einer beherzten Sachbearbeiterin wurden die Forderungen dann aufgehoben.

Ich nahm mir selbst einen Anwalt, denn ich kam hier nicht weiter. Dieser stellte 2013 einen Eilantrag auf Kindesunterhalt. Der Antrag wurde nach einem Jahr (!) abgewiesen, weil die Sache aus Sicht des Richters nicht eilbedürftig sei, da ich selber verdiente. Man empfahl uns, ein Hauptsacheverfahren zu eröffnen.  Der Vater kämpfte mit allen Mitteln, ging in Widersprüche, bei denen die Richter aus der oberen Instanz schon vorab schrieben, dass sie sinnlos seien und sowieso abgelehnt würden. Nach insgesamt 3,5 Jahren war alles abgeschlossen.

Wir kassierten vom Kammergericht Berlin ein Urteil, das später in vielen Datenbanken und Fachmagazinen publiziert wurde.

Mein Ex gab hier zwar an, daß er viele Kosten für die Kinder trage – de fakto tat er das aber nicht. Der Richter gab meinen Kindern Recht. Ja, sie hätten einen Anspruch auf Unterhalt. Wenigstens musste ich in diesem Verfahren keine Kosten tragen. In der ersten Instanz wurden mir noch Gerichtskosten von 50% auferlegt. Merkwürdig zumal ich ja meine minderjährigen Kinder vertrat.

Der Vater hatte mittlerweile einen Job gefunden. Die Unterhaltsvorschusskasse zahlte trotzdem weiter ohne gerichtliche Schritte einzuleiten. Eine Urlaubsvertretung meiner Sachbearbeiterin sagte mir am Telefon mit Blick in die Akte, daß Anfang 2016 weder Schulden beim Vater dort eingetragen, noch ein Verfahren eingeleitet worden sei.

Rätselhaft, dass man mit Steuergeldern so verschwenderisch umgeht. Mich würde die Rückholquote von Unterhaltsvorschussleistungen von unserem speziellen Amt mal interessieren. Zahlen dazu fand ich aber keine.

Ich habe bis heute noch nie eine Gehaltsabrechnung des Vaters bekommen. Das Gericht nahm ja ein fiktives Gehalt an und setzte die Zahlung auf die unterste Stufe der Düsseldorfer Tabelle fest. Was er wirklich verdient, weiß keiner. Als mein Exmann weiterhin nicht zahlte, musste ich eine Gehaltspfändung einleiten.

Ich hätte mir ehrlich gesagt auch hier mehr Rückendeckung vom neuen (angeblich kinderfreundlichen) Arbeitgeber meines Mannes gewünscht. Sein Büro füllte nicht einmal die notwendigen Unterlagen aus, obwohl es gesetzlich dazu verpflichtet gewesen wäre. Und der Vater bekam das Gehalt trotzdem überwiesen, obwohl es ein vorläufiges Zahlungsverbot gab. Unsere Situation war ihnen um ehrlich zu sein: komplett egal. Früher galt es vielleicht mal als anstößig, keinen Kindesunterhalt zu zahlen. Heute scheint es sich in den Köpfen vieler um ein Kavaliersdelikt zu handeln.

Die Unterhaltsvorschusskasse hatte zu diesem Zeitpunkt die Zahlungen längst eingestellt... Wie durch ein Wunder überwies der Vater nach 5 Jahren die Rückstände und auch den laufenden Unterhalt.

5 Jahre! 5 Jahre Sorgen, Existenzangst, viele Gerichtskosten und verschlossene Türen. 5 Jahre Fassungslosigkeit, dass die Behörden uns Alleinerziehende so im Stich lassen.

Und schon wieder liegt ein neuer Armutsreport vor. Die Bertelsmannstiftung hat im Rahmen einer Studie herausgefunden, dass 50% aller Kinder gar keinen Unterhalt bekommen und weitere 25% nicht den Satz der ihnen zusteht. Und dass die Armut von Kindern, die in Einelternfamilien groß werden, gestiegen ist im Gegensatz zur Kinderarmut allgemein in Deutschland.

Wen wundert das und ich habe ein paar Vorschläge, die sicher nicht neu sind, aber die wahrscheinlich niemals umgesetzt werden.

  • Einführung eines Inkassounternehmens für Unterhaltschuldner (bitte von der GEZ übernehmen, die kommen an ihr Geld)
  • Kindergelderhöhung für Alleinerziehende
  • Verlängerung des Unterhaltsvorschusses bis zum Ende der Ausbildung
  • Keine Anrechnung des Kindergeldes auf den Unterhaltsvorschuss

 

Dem Familienministerium ist dieser Umstand seit Jahrzehnten bekannt. Frau Schwesig prüft gerade, ob man in Deutschland mit Führerscheinentzug sanktionieren kann. Finde ich gut, vielleicht steigt dann die Zahlungsmoral ja endlich an.

Für uns ist das Thema Unterhalt immer noch nicht erledigt.

Ich muss nun klagen, um eine Gehaltsabrechnung meines Ex zu bekommen. Mal sehen, wie viele Jahre es diesmal dauert und ob er bis dahin wieder arbeitslos wird und alles wieder von vorne anfängt.

Fotohinweis: pixabay

Tags: Armut, Alleinerziehende, Unterhalt, Ex, Mann, Geld, Leben0Gastbeiträge

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