Ihr Lieben, wir haben vor einigen Wochen zwei Frauen ihre Geschichte erzählen lassen. Sie beide tragen Kopftuch. Martina ist Deutsche und zum Islam konvertiert, Sümeyye ist mit der Kultur aufgewachsen.
Ihre Erzählungen warfen weitere Fragen auf – bei uns und bei den Lesern. Und sie sind ja gerade in Zeiten eines diskutierten Burkaverbotes hoch-aktuell. Deshalb haben wir die beiden noch einmal zum Interview gebeten. Wer die Geschichten der zwei Frauen mit Kopftuch noch nicht kennt, bitte einmal auf diesen Satz klicken.
Sümeyye, da du sagst, die häufigste Frage sei: Ist dir nicht heiß unter dem Kopftuch. Was sagst du den Leuten, wenn sie das fragen?
Ich versuche zu erklären, warum ich das Kopftuch trage. So fällt es vielen Menschen leichter, nachzuvollziehen Warum wir auch in warmen Sommertagen uns bedecken; dass nicht nur mit dem Kopftuch sondern allgemein mit einer angemessenen Kleidung. Im Koran und der Sunna befinden sich Leitlinien für eine "islamische Lebensführung". Es gibt keine konkreten Bekleidungsvorschriften. Die Kleidung eines Muslims soll einfach und gepflegt sein. Die reizende Weiblichkeit soll nicht betont, sondern verhüllt werden. Ganz nebenbei möchte ich erwähnen, dass es im Islam auch Aufforderungen gibt, wie sich ein Mann kleiden soll. Und zwar muss mindestens der Bereich zwischen Bauchnabel und Knie komplett bedeckt sein. Gold und Kleidung aus reiner Naturseide sind ebenfalls (nur für den Mann) verboten.
Ist es denn nun wirklich warm unter dem Kopftuch?
Selbstverständlich ist es warm. Sehr sogar.
Du schreibst auch, du würdest von einigen Menschen als unhygienisch bezeichnet. Kannst du dir das erklären?
Ich selber wurde bislang nicht als unhygienisch bezeichnet. Allerdings konnte ich diese "Annahme" aus vielen Gesprächen entnehmen. Vor allem in Verbindung mit der Kleidung bzw. Verschleierung in Sommertagen und dem Schweißgeruch oder aber auch den Gewürzen – unter anderem Zwiebel und Knoblauch, die wir in unseren Küchen eher benutzen.
Und wenn Vorurteile angesprochen werden, wie versuchst du, sie klarzustellen? Welche Vorurteile sind das und was antwortest du dann?
Vorurteile gibt es immer und die wird es auch immer geben. Leider. Der einzige Weg, diese zu beheben, sind Kommunikation und Wissen bzw. Forschen. Die meisten Vorurteile sind: Islam = Terror – Gewalt – Zwang – Unterdrückung. Wir haben es schon schwer genug mit der Negativ-Vermittlung der Medien, den Islam als Friedensreligion zu erweisen und wenn dann noch einige Negativ- Beispiele dazukommen, wird es sehr kompliziert und anstrengend. Selbstverständlich sollte ein/e Muslima/a als Vertreter des Islam vorbildhaft handeln, aber wir sind Menschen, Fehler und Reue sind da schon "vorprogrammiert". Vor allem sollte man nicht alle/s über einen Kamm scheren. Schwarze Schafe gibt es in jeder Nation und Religion.
DANKE Sümeyye für diesen Einblick!
HIER GEHT ES WEITER MIT MARTINA:
Martina, es hat etwas gedauert, bis du Zeit für unsere Fragen hattest. Was war los?
Es tut mir wahnsinnig leid, dass ich dir so spät antworte. Mein Großer hatte gerade Eingewöhnung in der Kita und der Kleine kämpft mit den drei-Monats-Koliken. Es war also grad ein wenig stressig bei mir.
Ach, das kennen wir. Sag, viele Leser fragten sich: Wieso bist du damals zum Islam konvertiert, wie kam es dazu, was hat den Ausschlag gegeben?
Ich hab mich als Jugendliche viel ausprobiert und oft den Freundeskreis gewechselt. Irgendwie konnte ich mich nicht so ganz finden und fühlte mich nirgendwo wohl und dazugehörig. Als ich 17 war, bin ich zufällig auf einen Vortrag zum Islam gestoßen. Eigentlich war es kein besonderer Vortrag. Nur allgemeine Informationen, aber das Thema Islam hat mich danach nicht mehr losgelassen. Als ich mich dann durch Lektüre näher mit dem Islam beschäftigt habe, musste ich feststellen, dass diese Religion gar nicht so negativ ist, wie sie immer dargestellt wird. Einige Wochen später bin ich dann zum Islam übergetreten. Den Ausschlag dafür hat eigentlich gar nichts gegeben. Es war vielmehr eine Entscheidung, die ich mit dem Herz getroffen habe.
Und was gibt dir die Religion? Was macht sie für dich aus?
Der Islam gibt mir Struktur in meinem Alltag. Zum Beispiel dass ich fünfmal am Tag bete. In meinen Gebeten komme ich zur Ruhe und tanke Kraft, weil ich für einen Moment den Stress und die Gedanken vergesse, die mich durch den Tag begleiten. Vor allem gibt mir meine Religion aber einen Sinn im Leben. Einen Sinn, warum alles so ist, wie es ist. Der Kern des Islam ist, dass es nur einen einzigen Gott gibt und nichts das Recht hat, angebetet zu werden außer ihm. Wir werden geboren, um Gott zu dienen, indem wir die Regeln der Religion befolgen. Und nach unserem Tod werden unsere guten Taten den schlechten gegenübergestellt. Das darf man sich nicht so streng vorstellen, wie es sich anhört, denn Gott ist barmherzig und verzeiht Fehler und selbst eine gute Absicht kann als gute Tat gelten.
Und was bedeutet das Kopftuch für dich, wieso trägst du es?
Das Tragen eines Kopftuches ist nur eine von vielen Regeln im Islam. Ich befolge sie, weil ich auf Gott vertraue und weiß, dass seine Regeln einen Sinn haben. Seit ich das Kopftuch trage, bin ich selbstbewusster geworden, ich lege jetzt viel mehr Wert auf innere Werte. Es bietet mir eine Art Schutz. Das Kopftuch wird in den Medien sehr groß geschrieben, dabei basiert der Glaube im Islam auf den fünf Säulen des Glaubensbekenntnis, des Betens, des Spendens, des Fastens im Ramadan und der Pilgerfahrt. Das sind die Grundlagen und das wirklich Wichtige. Es bringt dem Glauben nichts, wenn man ein Kopftuch trägt und nicht betet.
Ist dein Mann denn auch Muslim?
Mein Mann ist auch Muslim und wir erziehen unsere Kinder auch nach dem Islam. Da sie noch sehr klein sind, beten und fasten sie natürlich nicht mit, aber wir legen sehr viel Wert darauf, ihnen den Glauben vorzuleben und mit gutem Beispiel voranzugehen. Das heißt, dass wir fünfmal am Tag beten, im Ramadan fasten und die Festtage gemeinsam feiern.
Wie sehr ist dein Glaube in den Alltag integriert?
Am Abend lese ich zum Einschlafen etwas aus den Koran vor und auch tagsüber lasse ich oft eine CD mit Koran laufen. Wir essen grundsätzlich nur Fleisch, das nach islamischen Richtlinien geschlachtet wurde und achten darauf, dass unsere Lebensmittel keine Gelatine enthalten. Alkohol trinken wir nicht und nehmen ihn auch nicht durch andere Lebensmittel zu uns, z.B in Kuchen. Natürlich gehen wir auch in die Moschee, im Ramadan öfter, aber auch so legen wir Wert darauf, regelmäßig die Moschee zu besuchen.
Fühlst du dich als Frau in der Religion ernst genommen?
Ich fühle mich als Frau im Islam sehr ernst genommen und vor allem respektiert. Es wird immer gerne so dargestellt, dass die arme Muslima zu Hause nur kocht und putzt und am Ende des Tages verprügelt wird. Das ist definitiv nicht der Fall. Gewalt ist im Islam grundsätzlich verboten, sei es an Frauen, Kindern oder sonstwem. Der Islam vertritt eine klare Rollenverteilung, nach der der Mann für die finanzielle Versorgung der Familie verantwortlich ist und die Frau für die Erziehung der Kinder. Was aber im Umkehrschluss nicht heißt, dass die Frau nicht arbeiten darf, wenn sie ihren religiösen Pflichten nachkommt und die Kindererziehung nicht vernachlässigt, steht ihr das frei. Das Geld, das sie verdient gehört dann ihr allein, denn für die Familie kommt der Mann auf. Deswegen darf eine Frau nicht gezwungen sein, arbeiten zu gehen.
Natürlich können sich Mann und Frau in ihren Aufgaben unterstützen und helfen. Es gibt stets eine Geschlechtertrennung, wie z.B. in der Moschee. Dies sehe ich aber nicht als Benachteiligung der Frau an, denn es gilt ja genauso für den Mann. Oft empfinde ich es sogar als angenehm, nur unter Frauen zu sein. Für Männer und Frauen gibt es im Islam nicht die gleichen Recht und Pflichten, aber Männer und Frauen sind ja auch nicht gleich. Ich fühle mich als Frau im Islam fair behandelt und sehr wohl.
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(Fotohinweis: Symbolfoto: pixabay)
Tags: Koptuch, Islam, Frauen, Rechte, Muslima, Gleichberechtigung, Mutter, Kinder, Aufgabenverteilung, Rollenbilder0Interviews